LAG Köln 2025: Hohe Abfindung bei sexueller Belästigung und PTBS am Arbeitsplatz

LAG Köln 2025: Hohe Abfindung bei sexueller Belästigung und PTBS am Arbeitsplatz

Die Dyna­mik am Arbeits­platz erfährt eine ste­ti­ge recht­li­che Wei­ter­ent­wick­lung, ins­be­son­de­re im Bereich des Schut­zes vor sexu­el­ler Beläs­ti­gung. Ein jüngst ergan­ge­nes Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Köln vom 09. Juli 2025 (Az. 4 SLa 97/25) rückt die gra­vie­ren­den Fol­gen von Geschäfts­füh­rer-Fehl­ver­hal­ten und die damit ver­bun­de­nen Arbeit­neh­mer­rech­te ins Zen­trum der Auf­merk­sam­keit. Die­se Ent­schei­dung, die einer Mit­ar­bei­te­rin eine Abfin­dung von fast 70.000 Euro zusprach, weil ihr das Arbeits­ver­hält­nis auf­grund sexis­ti­scher Über­grif­fe und dar­aus resul­tie­ren­der psy­chi­scher Belas­tun­gen unzu­mut­bar gewor­den war, sen­det ein kla­res Signal an Arbeit­ge­ber und stärkt die Posi­ti­on von Betrof­fe­nen erheb­lich.

Die Definition sexueller Belästigung im Arbeitsrecht

Sexu­el­le Beläs­ti­gung am Arbeits­platz ist weit mehr als ein Kava­liers­de­likt; sie ist eine ernst­haf­te Ver­let­zung der Per­sön­lich­keits­rech­te und der Wür­de einer Per­son, die schwer­wie­gen­de Kon­se­quen­zen nach sich zie­hen kann. Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) defi­niert sexu­el­le Beläs­ti­gung in § 3 Abs. 4 als jedes uner­wünsch­te, sexu­ell bestimm­te Ver­hal­ten, des­sen Zweck oder Wir­kung es ist, die Wür­de der betref­fen­den Per­son zu ver­let­zen und ein von Ein­schüch­te­run­gen, Anfein­dun­gen, Ernied­ri­gun­gen, Ent­wür­di­gun­gen oder Belei­di­gun­gen gekenn­zeich­ne­tes Umfeld zu schaf­fen. Ent­schei­dend ist dabei nicht die Absicht des Han­deln­den, son­dern die sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mung und Wir­kung des Ver­hal­tens auf die betrof­fe­ne Per­son. Auch sub­ti­le Annä­he­run­gen, uner­wünsch­te Bli­cke, anzüg­li­che Bemer­kun­gen, Kom­men­ta­re zum Aus­se­hen oder sogar sexu­ell kon­no­tier­te Nach­rich­ten kön­nen eine Beläs­ti­gung dar­stel­len.

Formen und Beispiele sexueller Belästigung

Die Band­brei­te sexu­el­ler Beläs­ti­gung ist viel­fäl­tig und reicht von ver­ba­len über non­ver­ba­le bis hin zu phy­si­schen Über­grif­fen.

  • Ver­ba­le Beläs­ti­gung: Hier­zu zäh­len anzüg­li­che Wit­ze, unan­ge­mes­se­ne Bemer­kun­gen über Aus­se­hen oder Pri­vat­le­ben, Fra­gen mit sexu­el­lem Inhalt oder Auf­for­de­run­gen zu sexu­el­len Hand­lun­gen.
  • Non­ver­ba­le Beläs­ti­gung: Auf­dring­li­ches Star­ren, Hin­ter­her­pfei­fen, uner­wünsch­te E‑Mails, SMS oder Whats­App-Nach­rich­ten mit sexu­el­lem Inhalt, aber auch das Zei­gen por­no­gra­fi­scher Dar­stel­lun­gen fal­len in die­se Kate­go­rie. Im kon­kre­ten Fall des LAG Köln 2025 Urteils spiel­te die Kom­mu­ni­ka­ti­on via Whats­App eine zen­tra­le Rol­le, in der der Geschäfts­füh­rer der Mit­ar­bei­te­rin unmiss­ver­ständ­lich sexis­ti­sche und demü­ti­gen­de Anwei­sun­gen gab, wie sie sich zu klei­den und zu ver­hal­ten habe.
  • Phy­si­sche Beläs­ti­gung: Uner­wünsch­te kör­per­li­che Berüh­run­gen, Annä­he­run­gen oder sogar kör­per­li­che Gewalt sind die gra­vie­rends­ten For­men.

Für Betrof­fe­ne ist es uner­heb­lich, ob sie die Uner­wünscht­heit des Ver­hal­tens expli­zit äußern; ent­schei­dend ist, dass der Beläs­ti­ger objek­tiv davon aus­ge­hen muss­te, dass sein Ver­hal­ten nicht erwünscht war.

Arbeitgeberpflichten und die Folgen von Fehlverhalten der Geschäftsführung

Arbeit­ge­ber haben eine gesetz­li­che Schutz­pflicht gegen­über ihren Beschäf­tig­ten. Nach dem AGG sind sie dazu ver­pflich­tet, geeig­ne­te, erfor­der­li­che und ange­mes­se­ne Maß­nah­men zu ergrei­fen, um sexu­el­le Beläs­ti­gun­gen zu ver­hin­dern und auf Vor­fäl­le zu reagie­ren. Dies umfasst sowohl prä­ven­ti­ve Maß­nah­men wie Schu­lun­gen und die Ein­rich­tung von Beschwer­de­stel­len als auch repres­si­ve Schrit­te im Fal­le einer Beläs­ti­gung. Wenn der Arbeit­ge­ber sei­ner Schutz­pflicht nicht nach­kommt oder – noch gra­vie­ren­der – wenn das Fehl­ver­hal­ten von der Geschäfts­füh­rung selbst aus­geht, kann dies weit­rei­chen­de Kon­se­quen­zen haben.

Geschäftsführer-Fehlverhalten als gravierender Pflichtverstoß

Das Urteil des LAG Köln vom 09.07.2025 ist ein deut­li­ches Bei­spiel für die schwer­wie­gen­den Fol­gen, die Geschäfts­füh­rer-Fehl­ver­hal­ten nach sich zieht. Der Geschäfts­füh­rer hat­te die Klä­ge­rin wie­der­holt mit sexis­ti­schen, demü­ti­gen­den und will­kür­li­chen Äuße­run­gen beläs­tigt und sei­ne Macht­stel­lung miss­braucht. Das Gericht stell­te klar, dass ein sol­ches Ver­hal­ten die Gren­zen des für Beschäf­tig­te Hin­nehm­ba­ren erheb­lich über­schrei­tet. Arbeit­ge­ber sind in sol­chen Fäl­len ver­pflich­tet, arbeits­recht­li­che Maß­nah­men zu ergrei­fen, die von einer Abmah­nung über eine Ver­set­zung bis hin zur frist­lo­sen Kün­di­gung rei­chen kön­nen. Ins­be­son­de­re bei schwer­wie­gen­den Ver­stö­ßen oder wie­der­hol­tem Fehl­ver­hal­ten kann eine frist­lo­se Kün­di­gung auch ohne vor­he­ri­ge Abmah­nung gerecht­fer­tigt sein. Dies gilt umso mehr, wenn die Beläs­ti­gung durch eine Füh­rungs­kraft erfolgt, die eine beson­de­re Vor­bild­funk­ti­on und Schutz­pflicht inne­hat.

Unzumutbarkeit des Arbeitsverhältnisses und hohe Abfindungen

Ein zen­tra­ler Aspekt des Köl­ner Urteils war die Fest­stel­lung, dass der Klä­ge­rin die Fort­set­zung des Arbeits­ver­hält­nis­ses unzu­mut­bar war. Dies ist ein ent­schei­den­der Punkt im Arbeits­recht, der es Arbeit­neh­mern ermög­licht, die Auf­lö­sung des Arbeits­ver­hält­nis­ses gegen Zah­lung einer Abfin­dung zu bean­tra­gen, selbst wenn der Arbeit­ge­ber die Kün­di­gungs­schutz­kla­ge aner­kennt. Gemäß § 9 Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) kann das Gericht das Arbeits­ver­hält­nis auf Antrag des Arbeit­neh­mers auf­lö­sen, wenn ihm die Fort­set­zung nicht zuzu­mu­ten ist.

Im vor­lie­gen­den Fall begrün­de­te das LAG Köln die außer­ge­wöhn­lich hohe Abfin­dung von 68.153,80 Euro (ent­spre­chend zwei Gehäl­tern pro Beschäf­ti­gungs­jahr) mit der offen­sicht­li­chen Sozi­al­wid­rig­keit der Kün­di­gung und der erheb­li­chen Her­ab­wür­di­gung der Klä­ge­rin. Die Abfin­dung erfüll­te dabei nicht nur eine Aus­gleichs­funk­ti­on für den Ver­lust des Arbeits­plat­zes, son­dern auch eine Genug­tu­ungs­funk­ti­on, ähn­lich dem Schmer­zens­geld bei Per­sön­lich­keits­rechts­ver­let­zun­gen. Die Gerich­te kön­nen einen höhe­ren Abfin­dungs­fak­tor anwen­den, wenn das Ver­hal­ten des Arbeit­ge­bers beson­ders schwer­wie­gend war und die Arbeit­neh­me­rin erheb­lich her­ab­ge­wür­digt wur­de.

Schmerzensgeld und die Anerkennung psychischer Folgen (PTBS)

Das Urteil des LAG Köln hebt her­vor, dass sexu­el­le Beläs­ti­gung nicht nur direk­te finan­zi­el­le, son­dern auch schwer­wie­gen­de psy­chi­sche Fol­gen haben kann. Im kon­kre­ten Fall führ­te das Ver­hal­ten des Geschäfts­füh­rers bei der Klä­ge­rin zu einer post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung (PTBS), die seit Mai 2024 andau­er­te und bei der Bemes­sung der Abfin­dung aus­drück­lich berück­sich­tigt wur­de.

PTBS als arbeitsbedingte Erkrankung

Die Aner­ken­nung einer PTBS als Fol­ge von Beläs­ti­gung am Arbeits­platz ist ein wich­ti­ger Fort­schritt im Arbeits­recht und im Sozi­al­recht. Eine PTBS kann unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen als arbeits­be­ding­te Ver­let­zung oder sogar als Berufs­krank­heit ein­ge­stuft wer­den, was für Betrof­fe­ne Ansprü­che auf Leis­tun­gen der Unfall­ver­si­che­rungs­trä­ger eröff­nen kann. Die Dia­gno­se einer PTBS erfolgt auf Basis stan­dar­di­sier­ter psych­ia­tri­scher Kri­te­ri­en (z.B. ICD-10) und erfor­dert den Nach­weis, dass die psy­chi­sche Stö­rung direkt auf ein trau­ma­ti­sches Ereig­nis oder eine trau­ma­ti­sche Situa­ti­on am Arbeits­platz zurück­zu­füh­ren ist. Die Recht­spre­chung hat hier in den letz­ten Jah­ren eine weg­wei­sen­de Ent­wick­lung gezeigt, die die Bedeu­tung psy­chi­scher Gesund­heits­schä­den im Arbeits­kon­text unter­streicht.

Zusätz­lich zur Abfin­dung, die eine Genug­tu­ungs­funk­ti­on erfül­len kann, haben Betrof­fe­ne unter Umstän­den auch Ansprü­che auf Scha­dens­er­satz und Ent­schä­di­gung (Schmer­zens­geld) gemäß § 15 AGG für tat­säch­lich ent­stan­de­ne Schä­den wie Arzt- oder The­ra­pie­kos­ten sowie für die erlit­te­ne imma­te­ri­el­le Belas­tung. Sol­che Ansprü­che müs­sen in der Regel inner­halb einer Frist von zwei Mona­ten schrift­lich beim Arbeit­ge­ber gel­tend gemacht und gege­be­nen­falls gericht­lich ein­ge­klagt wer­den.

Präzedenzwirkung und die Zukunft des Arbeitsrechts

Das Urteil des LAG Köln vom 09.07.2025 ist ein wich­ti­ger Prä­ze­denz­fall. Es ver­deut­licht, dass deut­sche Gerich­te sexu­el­le Beläs­ti­gung am Arbeits­platz, ins­be­son­de­re durch Vor­ge­setz­te, nicht tole­rie­ren und bereit sind, hohe Ent­schä­di­gun­gen zuzu­spre­chen, wenn die Wür­de von Arbeit­neh­mern ver­letzt wird und dies zu schwer­wie­gen­den gesund­heit­li­chen Fol­gen führt. Dies stärkt die Arbeit­neh­mer­rech­te und sen­det eine kla­re Bot­schaft an Unter­neh­men:

  • Null-Tole­ranz-Poli­tik: Arbeit­ge­ber müs­sen eine kon­se­quen­te Null-Tole­ranz-Poli­tik gegen­über sexu­el­ler Beläs­ti­gung ver­fol­gen und die­se aktiv durch­set­zen.
  • Ver­ant­wor­tung der Füh­rungs­ebe­ne: Das Fehl­ver­hal­ten von Geschäfts­füh­rern oder Vor­ge­setz­ten wird beson­ders streng bewer­tet und führt zu emp­find­li­chen Kon­se­quen­zen.
  • Schutz psy­chi­scher Gesund­heit: Die psy­chi­sche Gesund­heit der Beschäf­tig­ten, ein­schließ­lich der Ver­mei­dung von PTBS, muss einen hohen Stel­len­wert in der Für­sor­ge­pflicht des Arbeit­ge­bers ein­neh­men.

Die­se Ent­schei­dung trägt dazu bei, das Bewusst­sein für die Schwe­re sexu­el­ler Beläs­ti­gung zu schär­fen und die Arbeits­welt siche­rer und gerech­ter zu gestal­ten. Sie ermu­tigt Betrof­fe­ne, sich zur Wehr zu set­zen, und ver­pflich­tet Arbeit­ge­ber, ihrer Ver­ant­wor­tung umfas­send nach­zu­kom­men.

Fazit

Das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 09. Juli 2025 mar­kiert einen ent­schei­den­den Mei­len­stein im deut­schen Arbeits­recht. Es bekräf­tigt ein­dring­lich, dass sexu­el­le Beläs­ti­gung am Arbeits­platz, ins­be­son­de­re durch Füh­rungs­kräf­te, nicht gedul­det wird und mas­si­ve recht­li­che sowie finan­zi­el­le Fol­gen für die Arbeit­ge­ber haben kann. Die Zuer­ken­nung einer hohen Abfin­dung, die auch eine Genug­tu­ungs­funk­ti­on für die erlit­te­ne Per­sön­lich­keits­rechts­ver­let­zung und die Aus­bil­dung einer post­trau­ma­ti­schen Belas­tungs­stö­rung umfasst, unter­streicht die wach­sen­de Bedeu­tung des Schut­zes der psy­chi­schen Gesund­heit am Arbeits­platz. Arbeit­ge­ber sind mehr denn je gefor­dert, prä­ven­ti­ve Maß­nah­men zu ergrei­fen und auf Vor­fäl­le kon­se­quent und ange­mes­sen zu reagie­ren, um ein respekt­vol­les und siche­res Arbeits­um­feld für alle Beschäf­tig­ten zu gewähr­leis­ten. Die­ses Urteil ist ein star­kes Signal für die Stär­kung der Arbeit­neh­mer­rech­te und setzt einen wich­ti­gen Prä­ze­denz­fall für zukünf­ti­ge Fäl­le sexu­el­ler Beläs­ti­gung.

Weiterführende Quellen

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lag-koeln-4sla97-25-kuendigung-arbeit-unzumutbar-beleidigung-70000-euro-abfindung

https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/lag-koeln-4sla9725-hohe-abfindung-machtmissbrauch-kuendigung-arbeitsverhaeltnis

https://www.lag-koeln.nrw.de/behoerde/presse/Pressemitteilungen/05_18_07_25/index.php

https://www.otto-schmidt.de/news/arbeits-und-sozialrecht/auflosung-des-arbeitsverhaltnisses-gegen-abfindungszahlung-wegen-missbrauch-der-machtstellung-als-geschaftsfuhrer-2025–07-21.html